Nahezu alle Kunst in Sonnenhausen ist da, um zu kommunizieren und nach Möglichkeit etwas zu bewirken. Sie soll nachdenklich machen.
Wer durch unsere Räume geht, trifft auf viele Künstlerwerke. Ich wurde daher von der Redaktion gebeten, doch ein paar erklärende Worte über unseren Kunstbegriff zu verlieren, denn er spielt tatsächlich eine große Rolle in unserer Familie Schweisfurt – wie auch beim Konzept des Gutes.
Für viele Menschen ist Kunst etwas Dekoratives, das wir in unsere Lebensräume hängen, um sie damit zu schmücken. Ist schön oder: ist nicht schön, heisst es nur. Schön ist dann: passt von den Farben toll zu unseren Vorhängen! Oder: ist schön gemalt, hübsch von den Farben abgestimmt. Oder: imposant! Mensch, doll, wenn man vor einer riesigen Fotografie oder einem Gemälde von einer wilden Landschaft steht! Schönheit ist für unser Leben wichtig, aber nicht alles.
Was bedeutet dies für „gute“ Kunst?
Viele sagen, dass doch dies „im Auge des Betrachters“ liege. Hmmm… ich bin selbst nicht frei von dem Gefühl, dass Kunst schön und vielleicht imposant sein darf, und habe auch solche Dinge in unserem Hotel in Sonnenhausen. Ich bin aber überzeugt, dass es objektiv gute und schlechte Kunst gibt. Objektiv heisst, dass es darüber einen common sense gibt, vielleicht ähnlich wie es gute und schlechte Literatur und Musik gibt. Kunst, die es schafft, die Menschen aufzurütteln, ihnen dabei hilft, ein Stück alter Überzeugungen zu überwinden und die sie zu neuem Handeln (ver)führt, ist für mich gute Kunst.
Das weitet den Kunstbegriff erheblich.
Joseph Beuys, der berühmte deutsche Künstler, hat ja mal gesagt hat: alles ist Kunst. Beuys` Kunstwerke sind karg und nicht schön, aber sie erzählen die Geschichten der Zeit, in denen sie entstanden sind. Auch schockierende Geschichten von Leid und Tod. Die Geschichten von Leid und Tod, Krieg, auch von Sex und Macht, Geld, Gier und Wahnsinn sind immer wieder Gegenstand von Kunst. Warum sollen wir auf diese schrecklichen Dinge schauen? Ich denke, dass wir die kaum lösbaren Schattenseiten unserer Welt immer wieder ansehen müssen wie etwa den Holocaust oder die Naturzerstörung, damit wir dagegen steuern können. Es ist manchmal fast unerträglich, schockierend, schmerzhaft, das anzusehen, aber man muss es tun.
Kunst muss darum manchmal schockieren
Drei Beispiele: Wolf Vostell, Hermann Nitsch und HASchult, deren Werke in meiner Familie immer eine wichtige Rolle spielten, sind berühmte Aktionskünstler, die ihre Themen an die Spitze getrieben haben. Wolf Vostell hat vor allem dieses unauflösbare Dilemma, dass unsere Nahrung aus lauter getöteten Seelen besteht, thematisiert. Nitsch stellte das Tierische im Menschen, das Animalische, das Grausame, das Hilflose in atemberaubenden Aktionen und Bildern dar – nicht verherrlichend. Und HASchult wies schon vor 40 Jahren auf die Umweltzerstörung durch uns Menschen hin, als sich die Welt schon im grenzenlosen Wachstumswahn befand. So ist das Werk „Atomic Star“ von 1982, das im Roten Salon in Sonnenhausen hängt, die Vorwegnahme der Naturzerstörung und Vermüllung der Welt.
Kunst hilft.
Unser Hotel ist vor allem ein Veranstaltungshotel, und weil unsere Gäste immer viele Flipcharts und Projektionsflächen brauchen, stört manchmal die Kunst. Man ist geneigt, sie ganz zu eliminieren. Neulich aber sagte mir ein Trainer, dass die neuesten Forschungen aus der Neurologie zeigen, dass eine Tagung, die in einem Raum mit guter Kunst stattfindet, besser gelingt als eine Tagung in einem sterilen Raum. Die Kunst diene nämlich als Projektionsfläche, an die sich das zu Erlernende dauerhaft heften könne. Es gebe inzwischen Lerntechniken, die dieses Prinzip nutzen. Good news!
Es ist nichts Neues, daß wir in einer accelerativen Zeit leben, in der alle nur noch schaffenschaffenschaffen, ehrgeizige Ziele aufstellen und Konzepte machen für die Gewinnsteigerung – dem burnout entgegen. Man kann aber nicht immer nur Konzepte erarbeiten, man muss auch mal einatmen, innehalten und reflektieren. Manchmal sehe ich Gäste, die versunken vor einem unserer Kunstwerke stehen und einfach nur einatmen. Dann verrichtet Kunst sein Werk.
Mit herzlichen Grüßen, Georg Schweisfurth